Sam zum ungefähr 100.

Am 13. April wurde der offizielle 100. von Samuel Beckett begangen (trotz des Nobelpreises gerade wieder einmal sehr lesenswert) - wir haben, fassungslos angesichts des medialen Strohfeuers, den Termin natürlich passieren lassen (ganz geschickt wieder schachblaetter.de, die am 10.4 noch schnell vorgesprungen sind und meinen geplanten Eintrag vorwegnahmen). Nachdem danach das Feuilleton und die vereinigten Geisteswissenschaften umfassend gefreudelt und gegödelt haben, ist alles schnell wieder abgeebbt, und wir können hier ein wenig nachtragen.

Zum Glück hat die moderne Literaturwissenschaft das ihrige dazu beigetragen, um den Geburtstag ausreichend zu vernebeln. Die berüchtigte Erst"biographie" von Deidre Bair beginnt bezeichnenderweise mit der Behauptung, Beckett sei eigentlich im Mai geboren worden und habe seinen Geburtstag zurückverlegt, wegen des Karfreitags (ein paar ungenaue Begründungen folgen) - das Buch verbleibt übrigens auf diesem Niveau und ist daher als Meilenstein und typisches Erzeuignis der modernen amerikanischen, feministisch geprägten Geisteswissenschaften noch heute instruktiv (insbesondere lehrreich die unverblümte Entstehungsgeschichte des Werks in der Einleitung, und die Fortsetzung der Karriere via die Stufen Simone de Beauvoir, Anais Nin und C.G. Jung ;-) ... then again, there is a James Knowlson).

[Kleines Beckett-Quiz, Frage 1 (schwer): Was ist der 1001. Fehler im Bairschen Werk? (nein, nicht "damals war die Mehrheit der Polen Mitglied in der kommunistischen Partei")]

Da ist es uns also mindestens ebenso recht, den Feiertag und -ort selbst auszusuchen, und was wäre besser geeignet als die sommerlichen Maitage in Sams Berliner Stammkneipe im Tiergarten. Die Pilger repräsentierten schon eine beunruhigend typische Mischung von zentralen Beckett-Themen, wie natürlich Schach -

Beckett-Quiz, Frage 2 (leicht): Welches geplante Romancover von Beckett stellen diese beiden Primaten gerade nach?

OK, das war zu einfach. Für die komplette Partie verweisen wir wieder einmal gerne wieder nach Greifswald...











- oder die Bindung zur Ostsee (nachdem Sam unklugerweise im "Krapp" privat wurde, hat ja allein die Stelle

"Sah mir die Augen aus dem Kopf, indem ich wieder einmal Effi las, eine Seite pro Tag, wieder einmal unter Tränen. Effi... (Pause).
Hätte mit ihr glücklich sein können, da oben an der Ostsee, und die Kiefern, und die Dünen."

vielen PromovendInnen ein paar biographische Seiten schinden helfen) - oder Dante, the Peggies und natürlich als einigendes Band, der Whisky.

Schwer, alles halbwegs thematisch unter einen Hut zu bringen - der große Bruder hat es aber als Farce wenigstens anteilig versucht:



Samuel Beckett trifft Max Delbrück und trinkt einen Whisky


Dramolett von Holger Teschke


Samuel Beckett

Prof. Max Delbrück, Biologe

Frau Prof. Delbrück

Prof. Ruby Cohn, Theaterwissenschaftlerin

Kellnerin


Vor dem Restaurant "Giraffe" im Berliner Tiergarten, September 1976


Sonniger Septembernachmittag an einem Sonntag. Gartentische und Stühle vor dem

Restaurant. Von links Samuel Beckett mit Ruby Cohn, von rechts Max Delbrück mit

seiner Frau.


Cohn (stellt vor ) :

Sam, das ist Professor Max Delbrück, der bei uns in Pasadena lehrt. Er hat im selben Jahr wie Du den Nobelpreis bekommen. Professor, das ist ...


Delbrück :

Aber ich kenne doch Mr. Beckett ! Wer kennt ihn nicht ? Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen ?


Beckett (verlegen) :

Sehr erfreut.


Kellnerin (bringt Speisekarten) :

Bitteschön, die Herrschaften.


Cohn : Danke.


Man studiert schweigend die Speisekarten. Ab und zu sehen sich Beckett und Delbrück nervös über den Rand der Karten an.


Cohn :

Wunderschöner September, nicht wahr, Frau Professor ?


Frau Delbrück :

Wunderschön. Wir waren gerade im Zoo. Mein Mann macht sich ja nichts aus Elefanten und

Löwen, er schwärmt stattdessen für Bakterien. Aber ich habe ihn mitgeschleift.


Cohn ( zu Beckett) :

Professor Delbrück arbeitet über die Genetik der Bakterien, nicht wahr ?

Delbrück : Über Bakteriophagen.


Beckett : Ah ja. Sehr interessant.

Frau Delbrück :

Ich mache mir nichts aus Bakterien. Ich finde sie, offen gesagt, widerlich. Ich jage sie praktisch jeden Tag, den Gott werden läßt. Zu Hause in Pasadena habe ich ein ganzes Arsenal an Bakterienkillern, aber auf Reisen muß ich mich mit einem Fläschchen Softasept begnügen. Sehr effektives Mittel, auch gegen Mykobakterien, Viren und Pilze. Max behauptet zwar, daß es gegen die meisten Bakterien wirkungslos sei, aber das sagt er nur, um mich zu ärgern. Ich habe den Beipackzettel gründlich gelesen und dort steht...


Delbrück : Darling...


Frau Delbrück :

Unterbrich mich bitte nicht, Max. Wissen Sie, da war so ein süßes Elefantenbaby im Zoo, mir sind regelrecht die Tränen gekommen, und was macht er ? Zuckt mit den Schultern und fängt an, mir etwas von irgendeinem Kindchen-Schema zu erzählen, das die Natur sich angeblich hat einfallen lassen, um bei uns Mutter-und Beschützerinstinkte zu wecken. Ja und ?, frage ich ihn. Ist es deswegen weniger süß ? Haben etwa deine Bakterien auch ein Kindchenschema ?

Sitzt du deswegen Tag und Nacht überm Mikroskop ?


Kellnerin : Die Herrschaften haben gewählt ?


Cohn : Ein Kännchen Kaffee, bitte.


Frau Delbrück : Für mich bitte auch. Mit Milch und Zucker.


Delbrück : Dasselbe.


Beckett : Johnny Walker ohne Eis.


Kellnerin (stolz) : Black Label, richtig ?


Beckett : Black Label.


Kellnerin : Kommt sofort ! ( ab)


Frau Delbrück : Man scheint Sie hier zu kennen, Mr. Beckett.


Beckett : Ich wohne um die Ecke.


Delbrück : In der Akademie ?


Beckett : Ja.


Delbrück : Bestimmt sehr schön.


Beckett : Oh ja. Besonders am Wochenende.


Frau Delbrück : Aber dann ist doch kein Mensch dort.


Beckett : Eben.


Delbrück : Und wie laufen die Proben ?


Beckett : Oh Gott. Fragen Sie lieber nicht.


Delbrück : Sorry. Natürlich nicht.


Frau Delbrück :

Was probieren Sie denn, Mr. Beckett ? Schon wieder Ihren komischen Godot ?

Max hat mich damals in San Francisco mit in eine Aufführung geschleift. Ich habe kein einziges Wort verstanden.


Beckett (freundlich) :

Oh, machen Sie sich nichts draus. Da gibt$-1òùs nichts zu verstehn. -A


Frau Delbrück : So ? Da bin ich ja beruhigt. Also etwas Neues ?


Beckett : Eher etwas Übriggebliebenes.


Frau Delbrück : Und wovon handelt dieses Übriggebliebene ?

Beckett ( freundlich ) :

Ein alter Mann hört auf die Stimmen der Vergangenheit. Und eine alte Frau erinnert sich an die Stimme ihrer Mutter.

Frau Delbrück : Und ?


Beckett : Nichts weiter.


Frau Delbrück : So.


Cohn ( schnell ) : Es wird Ihnen bestimmt gefallen, Herr Professor.


Delbrück : Wir kommen auf jeden Fall. Wann ist die Premiere ?


Cohn : In zwei Wochen.


Delbrück : Da sind wir glücklicherweise noch hier.


Kellnerin ( kommt mit den Getränken) :

So, bitteschön, die Herrschaften ! Drei Kaffee und ein Scotch. Wohl bekomm's!


Frau Delbrück :

Am Fontane-Denkmal sind wir auch vorbeigekommen. Mein Mann sagt, Sie lieben Fontane,

Mr. Beckett ?


Beckett : Oh, lieben ist zuviel gesagt.


Frau Delbrück : Aber Sie haben ihn gelesen ?


Beckett : Lange her.


Cohn : Sam schätzt besonders " Effi Briest".


Frau Delbrück : Ah ja. Die spielt an der Ostsee, nicht wahr ? Maxens Vater stammt von dort.

Aus Bergen in Rügen.


Delbrück : Auf Rügen, Darlin. Rügen ist eine Insel.


Frau Delbrück :

Meinetwegen. Jedenfalls herrschen da jetzt die Russen. Max wollte mit mir hinfahren, aber ich hab ihm gesagt : keine zehn Pferde kriegen mich in die Zone. Wer weiß, was es da für Bakterien gibt.


Beckett : Russische.


Delbrück lacht, seine Frau sieht ihn ärgerlich an, er verstummt und rührt weiter in seinem Kaffee.


Cohn :

Ich wäre gern nach Rügen gefahren, aber für Amerikaner ist es sehr umständlich, ein Visa zu bekommen. Caspar David Friedrich war oft auf Rügen, nicht wahr ?


Beckett : Kann sein.


Cohn : Sam liebt Caspar David Friedrich.


Beckett : Lieben ist zuviel gesagt.


Cohn :

Aber du hast seine Bilder schon 1936 gesehen, hast du mir erzählt. In Hamburg, Berlin und in Dresden.


Beckett : Lange her


Frau Delbrück ( spitz) : Gibt es etwas, das Sie heute noch lieben, Mr. Beckett ?


Beckett ( lächelnd) : Die Stille.


Pause. Unheilvolles Schweigen. Beckett trinkt seinen Whisky. Delbrück rührt in seinem Kaffe,

Frau Delbrück setzt schließlich geräuschvoll ihre Tasse ab.


Frau Delbrück : Nun, dann wollen wir Sie nicht weiter stören. ( ruft) Zahlen bitte !


Kellnerin : Zwei Kännchen, macht fünf Mark, die Herrschaften.

Frau Delbrück : Max !


Delbrück zieht sein Portmonee, kramt umständlich Kleingeld hervor, blickt abwechselnd Beckett, die Cohn, seine Frau und schließlich die Kellnerin an. Zahlt seufzend.


Delbrück : Stimmt so.

Kellnerin : Besten Dank und schönen Nachmittag. (ab)


Delbrück : Ja, dann - bis zur Premiere, Mr. Beckett.


Beckett : Bis zur Premiere, Professor. Ich laß Ihnen zwei Karten hinterlegen.


Delbrück : Sehr freundlich.


Beckett :

Ich hoffe, Ihre Frau kommt auch. Die Stücke, wie gesagt - aber sehr gute Schauspieler.


Delbrück : Bestimmt.


Beckett :

Und machen Sie noch einen Abstecher in den Englischen Garten. Da gibt es rote Eichhörnchen. Viel schöner als die grauen in Amerika.


Frau Delbrück : Eichhörnchen ?


Beckett : Ja, Eichhörnchen. Rote.


Frau Delbrück(verwirrt) : Also, auf Wiedersehen.


Cohn : Auf Wiedersehen, Frau Professor.


Man erhebt und verabschiedet sich. Die Delbrücks ab nach links.


Cohn ( seufzt) : Ach, Sam.


Beckett : Was hast du ?

Cohn : Ich dachte, Du würdest den Professor mögen.


Beckett : Sehr netter Mann.


Cohn : Aber ihr habt doch kaum miteinander geredet.


Beckett : Eben. Sehr netter Mann. Sehr netter Nachmittag. Und jetzt ist es ganz still.


Kellnerin : Noch einen Scotch, Mr Beckett ?


Beckett : Gern. Mit Stille, bitte.


Kellnerin stutzt, schreibt dann etwas auf ihren Block, ab. Eine Amsel beginnt zu singen.

Beckett seufzt.


Das Ende