Interview mit GM Thomas Luther (SC Neukloster) zur DEM

Ein kurzes Interview mit langer Vorgeschichte: Eigentlich war schon seit geraumer Zeit mal geplant, einiges von unserem Neuklosteraner GM Thomas Luther auf diese Seite zu bekommen, aber wie führt man so ein Interview, wenn man selbst nicht mehr in Neukloster (oder Erfurt, oder Österreich, oder auf den Turnieren) ist? Akut wurde das Problem jetzt zur Deutschen Meisterschaft, wo GM Luther immerhin als "historisches" Resultat mit seinem 6. Platz die bisher beste Platzierung eines MV-Vereinsspielers erzielen konnte - wenngleich ihm selbst auf diese statistische Marginalie sicher weniger bedeutet, konnte er doch sogar schon zweimal (1993 und 2002) Deutscher Meister werden (dabei war insbesondere 2002 sehr stark besetzt mit u.a. Jussupow, Graf, Naiditsch, Hübner, Dautov...), damals allerdings noch nicht bei Neukloster.

Eindrucksvoll ist auch die Liste seiner Turniererfolge, zum Beispiel 1995 der Sieg beim berühmten Traditionsturnier in Hastings (ausser ihm gelang das nur noch zwei Deutschen: 1951 W. Unzicker und 1959, 1966 W. Uhlmann).

Da es nun aber zu lange gedauert hätte, mal auf ein Zusammentreffen zu warten (Berlin bietet einem guten GM ohnehin keine attraktiven Turniere) und mein journalistisches Budget keine Reise nach Österreich zuliess, blieb mir nur die Kontaktanbahnung über email (wobei meine drei Seiten Fragen wahrscheinlich ziemlich abschreckend gewirkt haben müssen :-).. ). Da man natürlich keinen solchen Schreibaufwand verlangen kann, blieb nur die Minimalvariante - ein Telefoninterview zu den aktuellen Ereignissen und die Hoffnung auf eine spätere Diskussion der allgemeineren Komplexe (wie die langjährigen Erfahrungen im Spitzenschach, Erfahrungen und Probleme des Trainings (GM Luther gilt auch als einer der besten deutschen Trainer) und die Beziehung zu Neukloster). Immerhin erwies sich der Grossmeister (durch die Mail gewarnt) als gut vorbereitet...

OT: Hallo und guten Abend! Schön, dass es mit der Verbindung geklappt hat, können wir loslegen?

TL: Guten Abend! ja, es passt jetzt, fangen wir an.

OT: Also zuerst einmal vielen Dank, dass es trotz der Umstände mit dem Interview geklappt hat, und Gratulation zu dem guten Ergebnis bei der Deutschen Meisterschaft. Ich möchte mich hier am Telefon lieber auf die aktuellen Fragen (DEM) beschränken, aber vielleicht noch ein wenig zur Vorgeschichte: In den letzten zwei Jahren lief es schachlich nicht immer optimal, zumindest die Elozahl ging deutlich nach unten. Woran lag es?

TL: Die Elo-Zahl ist ja immer relativ. Ich habe auch in den letzten Jahren einige gute Turniere gespielt, aber da ich keine Einladungen bekommen habe, waren es immer Open-Turniere. Dabei verliert man als GM in der Regel Punkte, wenn es nicht gerade optimal läuft. In der Nationalmannschaft habe ich dagegen z.B. sehr gute Ergebnisse erzielt. (Anmerkung OT: z.B. bester Deutscher bei Olympiade 2002 Bled, Performance 2663 bei EM Plovdiv 2004)

OT: Gab es auch äussere Hindernisse?

TL: Mein BWL-Studium hat mich sicher in der letzten Zeit stark in Anspruch genommen. Man kann ja oft verschiedene Aktivitäten gut als kombinieren - man sieht oft, dass Sport und Wissenschaft gut als Ausgleich funktionieren. Aber mit Betriebswirtschaft und Schach scheint das nicht so richtig zu klappen (lacht).

OT: Ich kommentiere das mal lieber nicht, es gibt sowieso schon zuviele böse Bemerkungen von Mathematikern über BWL ;-)
Das hat also viel Zeit gekostet, und ein Trainingsrückstand macht sich entsprechend bei den Turnieren bemerkbar?

TL: Nicht nur Zeit, sondern auch und gerade Energie und Kreativität. Aber es wirkt sich auf GM-Niveau schon aus, wenn man nicht zum Training kommt; ohne die entsprechende Arbeit und Vorbereitung sind Turniersiege heute sehr schwer zu erreichen. Jedenfalls habe ich jetzt die wichtigsten Prüfungen erfolgreich absolviert, der Rest ist Fleissarbeit, und ich kann mich jetzt auch wieder etwas mehr um Schach kümmern.

OT: Zu bestandenen Prüfungen gratuliere ich berufsbedingt natürlich immer gerne :-) und wünsche für den Rest des Studiums viel Erfolg!
In letzter Zeit scheint es ohnehin wieder nach oben zu gehen, zum Beispiel gab es im Oktober einen geteilten ersten Platz bei einem Open in Arco/Italien (Zweiter nach Buchholz hinter Jacob Aagard). Sozusagen ein Neukloster-Doppelsieg - war eigentlich bekannt, dass Jacob jahrelang bei Neukloster gespielt hat?

TL: Ja, mit Jacob verbindet mich eine langjährige Freundschaft, daher wusste ich natürlich auch, dass er mal beim Verein war. Ich habe ihm auch das Turnier empfohlen, er ist dann gekommen und hat gleich den Sieg mitgenommen. Eine Runde vor Schluss habe ich noch geführt und sah auch nach Buchholz wie der Sieger aus, aber das Schweizer System läuft manchmal sehr skurril. So hat Jacob mich noch abgefangen.

OT: Hat es eigentlich zu einer zweiten GM-Norm für ihn gereicht? Der Turnierseite war leider nichts zu entnehmen.

TL: Oh, das weiss ich auch gar nicht. Er ist jedenfalls dran am Titel, auch wenn sicher seine Bücher für ihn an erster Stelle stehen.

OT: Vielleicht schaffen wir es ja mal, uns live & ausfürlich über den Komplex Training zu unterhalten, dann spielen sicher auch Schachbücher eine Rolle und Jacob bekommt etwas mehr Platz :-)
Nun zur deutschen Meisterschaft. Was war vorgenommen für das Turnier?

TL: Nix!

OT: ???

TL: Ich wollte nur hinfahren und passables Schach spielen. Bei solchen stark besetzten Open muss man ohnehin sehen, wie es läuft, da hängt auch viel von der Auslosung und Tagesform ab. Ein bisschen hofft man natürlich immer, dass es was wird.

OT: Ich hatte eigentlich das Gefühl, die Partien waren sehr ehrgeizig angelegt (besonders im Vergleich zu einigen anderen Grossmeistern). War das Ergebnis am Ende zufriedenstellend? Der 6. Rang war ja zumindest besser als die Setzliste, Elo-Plus gab es auch...

TL: Ich denke, wenn man auf die Partien schaut und sieht, was auf dem Brett stand, war sogar deutlich mehr drin. Wenn ich an die Partien gegen Baramidze und Braun denke....Vor allem das Remis in der 7. Runde gegen Arik Braun, in einer totalen Gewinnstellung.

OT: Lag das an der Zeitnot? (NB: Die Partien sind unter http://www.skak.de/dem2005/partien.htm zu finden!)

TL: Klar, die Zeit war knapp, aber auch die Stellung war kompliziert. Hinterher ist es natürlich leicht, man schaltet den Computer an und ärgert sich...
Andererseits hatte ich dadurch in der 8. Runde mit Schwarz ein echtes Glückslos (Anm.: Thomas Schunk 2280, 0-1, 36).

OT: Naja, er hatte bis dahin ja auch ein gutes Turnier gespielt...

TL: Trotzdem, in einem so fortgeschrittenen Stadium einen Gegner zu bekommen, gegen den man mit Schwarz kräftig auf Sieg spielen kann, ist selten. Wenn ich in der 7. gegen Braun gewonnen hätte, wäre es mit Sicherheit danach viel schwerer geworden. Andererseits hätte es in der 4. Runde gegen Baramidze auch mehr werden sollen.

OT: Die entscheidende Partie war aber sicher dann in der 5. Runde gegen den späteren Sieger Artur Jussupow. Ich fand es sehr mutig und entschieden, mit Schwarz auf Sieg zu spielen - die Partieanlage war ja doch absichtlich zweischneidig? Wenn man Artur schlagen will, wahrscheinlich das beste Rezept, ihn zu solchen Opfern zu provozieren und ihn aus den gewohnten souveränen positionellen Bahnen zu werfen, und fast hätte es ja geklappt...

TL: Bestimmt würde ich mich anders hinstellen, wenn ich gegen ihn nur ums Remis kämpfen würde. Nach dem Remis gegen Baramidze war ich aber auch im Zugzwang. Bestimmt war mindestens ein Unentschieden drin, man kann auch mit Da7 statt Td8 die 7. Reihe verteidigen...

OT: ...Laut Computer ist die Stellung nach 28....Ld4 statt fxe6 gewonnen für Schwarz...

TL: ...ja, die Computer hat man ja nicht dabei :-) ... am Brett ist so etwas sehr schwer. Dann wurde auch die Zeit knapp und die Stellung war sehr kompliziert (Anm.: die Partie endete dann durch Zeitüberschreitung im 39., OT)

OT: Die Partie hat sicher viel Kraft gekostet?

TL: Ja, eigentlich beide Partien in der 4. und 5. Runde, auch gegen Baramidze musste viel berechnet werden. Ich bin sehr zufrieden, dass ich nach diesen Dämpfern dann gleich in der 6. Runde mit einem Sieg gegen Handke wieder angreifen konnte. Das war eine gute Partie, und ich bin froh, dass ich den Verlust so gut weggesteckt habe - das fällt auch vielen Grossmeistern schwer.

OT: Es hätte dann sogar noch mehr sein können, bei einem Sieg mit Weiss gegen Graf in der Schlussrunde ist es Platz 3...

TL: Wenn die Partien in der letzten Runde alle optimal für mich laufen, ist theoretisch sogar Platz 1 drin. In der Schlussstellung gegen Graf habe ich im 21. Zug zwar einen Bauern mehr, aber keinen guten Plan. Ich komme einfach nicht vorwärts, und Graf kennt diese Variante sehr gut (Anm. Grafs Spezialvariante im Spanier, OT). Ich habe mich auf meine Vorbereitung verlassen, aber das war im Gewinnsinne zu wenig. Die Stellung ist eine typische Wolga-Struktur, sogar etwas besser als normal für Schwarz, weil sein f-Bauer auf f4 steht. Am Ende hatte das Turnier auch zu viel Kraft gekostet, daher habe ich das Remis gemacht.

OT: Einiges Aufsehen hat ja Grafs Einsteller gegen Jussupow (26. Df6?? in der 6. Runde) erregt (es war ja nicht mal Zeitnot). Wie kann man sich so einen Lapsus eines starken GM erklären?

TL: Ich weiss es nicht. Schwer zu zu erklären. Den meisten guten Spielern passiert so etwas nicht.

OT: ... Am Ende gab es einen recht deutlichen Sieg von Jussupow. War er verdienter Erster?

TL: Der Sieger hat es eigentlich immer verdient. Natürlich hatte er in einigen Partien Glück, aber ohne Glück gewinnt man so ein Turnier nicht. Der Sieger braucht immer ein bisschen Glück. Und angesichts seiner früheren Extraklasse...Er hat es verdient.

OT: Kommen wir noch schnell zu einem weiteren aktuellen Ereignis. Garri hat seinen Rücktritt vom aktiven Schach erklärt. Wie ist die Meinung im GM-Lager darüber?

TL: Ich habe noch nicht mit anderen GM darüber sprechen können.

OT: Aber ein Kommentar zu seinen Gründen und zur aktuellen Lage des Schachs?

TL: Wir kennen ja alle das Problem mit der Weltmeisterschaft. Der Zustand der FIDE ist eine Katastrophe. Die Spieler haben immer weniger Einfluss auf die Rahmenbedingungen und werden nicht mehr gefragt. Entschieden wird nicht im Interesse des Sports, sondern im Eigeninteresse, es herrscht blanker Funktionärsdünkel.

OT: (in Gedanken: Mist, wenn ich das bringe, glaubt mir keiner in MV mehr das Interview - die denken, ich hätte es mir ausgedacht und TL als Sprachrohr benutzt...)
Die Situation wird sich wohl auch so schnell nicht ändern...

TL: ...die Situation wird sich ändern, und zwar zum Schlechteren. In fünf Jahren werden wir uns wahrscheinlich nach der heutigen Situation sehnen, so schlimm sie auch ist.

OT: (in Gedanken: Das habe ich nun davon...in der email hatte ich ja auch leichtsinnig gefragt, wie sich das Schach aus der jetzigen Lage heraus entwickeln wird...)

TL: Kasparov weiss ja viel mehr als wir. Kein Wunder, dass er sich zurückzieht.

OT: Trotzdem, selbst wer als Amateur das Schach liebt, kann sich nur schwer vorstellen, es ganz aufzugeben. Und eigentlich ist es unvorstellbar, dass jemand wie Kasparov, der Schach derart liebt und auch unvergesslich schöne Partien gespielt hat, sich nie mehr ernsthaft ans Brett setzt. Selbst Fischer ist zurückgekommen...

TL: Ich würde ausschliessen, dass Garri kurzfristig zurückkehrt. Er hat sicher schon oft seine Meinung geändert, aber in der nächsten Zeit ist das nicht zu erwarten. Selbst wenn er sich entschliessen sollte, würde er mindestens eine Schamfrist von 2,3 Jahren einhalten.

OT: Zum Schluss: Wie sehen die künftigen Pläne aus? Was sind die nächsten Turniere?

TL: Leider habe ich derzeit keine Einladungen. Sicher werde ich das Open in Dresden spielen, wie jedes Jahr. Und hier in Österreich Oberwart. Das Problem ist, dass Open für GM eigentlich kontraproduktiv hinsichtlich der ELO-Zahl sind. Seit die Untergrenze auf 1800 abgesenkt ist, spiele ich immer öfter gegen Leute, gegen die ich 100% Erwartung erfüllen muss. Das geht natürlich nicht immer. Ausserdem gibt es die Asymmetrie, dass die bei der Vorbereitung Hunderte Partien von mir haben, ich meistens keine. Da kann es mit Schwarz schon mal Remis werden. Mit etwas Glück kann man so etwas durch zwischenzeitliche Turniersiege ausgleichen, aber auf die Dauer ruiniert das die Zahl, vor allem relativ zu den Leuten, die Einladungsturniere spielen können.

OT: Dann wünsche ich natürlich Erfolge bei den anstehenden Turnieren, dass die Formkurve weiter nach oben geht und dann auch wieder Einladungen kommen!

TL: Danke!

OT: Und vielleicht klappt es ja irgendwann mal mit einem ausführlichen Live-Interview...Tschüss!

TL: Tschüss!